Kritik am Präventionskonzept der Charité

Mein Leserbrief an die Berliner Zeitung vom 16. Oktober 2014

Herzlichen Dank für Ihren Beitrag, der sich nicht an der Dämonisierung von Pädophilen beteiligt. Wahrscheinlich besteht diese Gruppe aus genau so viel unterschiedlichen Menschen wie die Gruppe der Homosexuellen. Nur dass sich heute kein Wissenschaftler mehr erlauben kann, allen Homosexuellen dasselbe "Triebschicksal" zu unterstellen und diese Orientierung dann auch noch als Krankheit einzustufen. Aber genau dieses pauschale Vorgehen erlauben sich die Sexualwissenschaftler an der Charité im Umgang mit Pädophilen. Sie berufen sich darauf, dass im Gegensatz zur Homosexualität Pädophilie noch nicht im psychiatrischen Wörterbuch gestrichen wurde.

Ich bestreite nicht, dass es psychisch kranke Pädophile, Homosexuelle und Heterosexuelle gibt. Wo sie an sexualisierter Gewalt beteiligt sind, muss eine Situationsanalyse die Verantwortlichkeiten klären. In Gewaltfragen helfen soziologische Analysen oft weiter und wird die Psychologie meist nur als Hilfswissenschaft hinzugezogen. Teile der Sexualwissenschaft treten aber auf, als hätten allein sie den Schlüssel zum Täterverhalten.

In meiner Skepsis fühle ich mich durch die von der Charité vorgelegten Forschungsergebnisse bestätigt. Es lässt sich wissenschaftlich nicht klären, wie viel Prozent der Bevölkerung homosexuell oder pädophil veranlagt sind. Hier kann und wird immer nur mit Vermutungen gearbeitet. genauso wenig kann die Charité wissenschaftlich belegen, dass Pädophile mit vierzig Prozent an sexueller Gewalt beteiligt sind. Beide Zahlen machen es aber der Charité möglich, einen riesigen Kreis an Betroffenen auszurufen. Mit diesem fragwürdigen Zahlenmaterial wird begründet, warum diese Menschen unbedingt therapeutisch behandelt oder zumindest präventiv aufgeklärt werden müssen.

Inzwischen sind wahrscheinlich die Verantwortlichen an der Charité selbst überrascht, welche Millionensummen und wie viele Geldquellen sie mit Berufung auf die Missbrauchsgefahr mobilisieren konnten. Ihr Rat an andere medizinische Fakultäten, diesen lukrativen Goldesel ebenfalls zu nutzen, ist überzeugend.

Gemessen an den bereits geflossenen Millionen ist der geistige Ertrag, den die Wissenschaftler zum Verständnis sexualisierter Gewalt bisher leisten konnten, denkbar dürftig. In jeder Selbsthilfegruppe von gewaltbetroffenen könnte man eine weitaus ergiebigere geistige Ernte einfahren.

Fünfzig Betroffene haben bisher an einer von der Charité angebotenen Therapie teilgenommen. Laut Forschungsbericht waren zehn Prozent der Teilnehmer auch noch während der Therapie sexuell übergriffig. Der Bericht erwähnt nicht, dass die Therapeuten zum Schutz der Opfer aktiv wurden. Gerechtfertigt wird diese Passivität mit Berufung auf das Arztgeheimnis. Auch das zeigt, in welchem Elfenbeinturm an der Charité geforscht wird.

Genauso bedrückend ist, dass keine anderen Sexualwissenschaftler die Berichte der Charité kritisch kommentieren. Dabei haben nicht wenige Homosexuelle in dieser Disziplin ein berufliches Auskommen gefunden. Sie können doch nicht verdrängt haben, dass noch vor dreißig Jahren auch Homosexuellen pauschal eine triebhafte Veranlagung unterstellt und sie zu psychisch Kranken erklärt wurden. Vielleicht melden sich jetzt Schuldgefühle, dass man damals in der Schwulenbewegung im eigenen Emanzipationsrausch allzu leichtfertig die Gruppe der Pädophilen der gesellschaftlichen Verachtung überlassen hat.

Daniel Schneider

www.leiden-schaft.org