Nachrufe zum Welt-AIDS-Tag 2014

rufusZusammen mit meinem Freund Rufus bin ich regelmäßig beim Café Transler im Schwuz aufgetreten. Rufus besaß eine warme,  schöne Stimme. Ich schrieb für unsere Auftritte die Texte und suchte nach passenden Liedern. So entstand mit der Zeit ein Repertoire, das zunehmend auch an unsere verstorbenen Freunde erinnerte. Offen vom Sterben zu sprechen war damals noch ungewöhnlich uns nicht immer waren wir mit diesem Thema willlkommen.

Nachrufe

 Nach Rufe

Wo bist Du?
Mon ami, mein Kleiner Soldat.
Abkommandiert von Paris nach Westberlin,
um als Partisan der Lust
unsere Herzen zu entflammen
und sich dann schamlos
wieder aus dem Staub zu machen.

Patrik

grosser Charmeur,
Empfindlich-empfindsam,
Traumtänzer und Rebell,
auf dem Mathei-Friedhof 
zur letzten Ruhe verdonnert.

Wo bist Du?

Alter Grantler,
dem wir nie links genug waren
und der es den Ossis übelnahm,
weil auch sie um das goldene Kalb
tanzen wollten,
statt den Sozialismus
mannhaft zu verteidigen.

Ferdinand

Großer Agitator,
in kleinen Verhältnissen aufgewachsen.
Wort- und büchersüchtig,um zuletzt wortkaarg und traurig
im Darkroom
um etwas warme Haut bettelnd.

Wo bist Du?
Großer Kiffer vor dem Herrn,
Rausch- und vergessenssüchtig,
Der den Himmel bestürmte,
um mit zerbrochenen Flügeln
wieder auf der Erde zu landen.

Ikarus-Desaster

Wir aber sammeln nun ein die Federn Deiner zerbrochenen Flügel
und schmücken mit ihnen die Höhlen unserer Erinnerungen.

Wo bist Du?
Der mich mit lachenden Augen einfing
und mitnahm in die Abgründe seines Herzens,
um mich dann als zu brav
wieder auszuspucken.

Andreas

Freund und warmer Bruder,
Weggefährte in dieser schönen Zeit fröhlichen Aufbegehrens.
In der Blüte seiner Jahre
vom Tode getroffen.

Wo bist Du?

Der mit dröhnender stimme
die Kais von Amsterdam besang,
während an Münchens Nachthimmel
aufblitzte der Mond,
sichelschmal, silberhell, isartrunken
und sich im Englischen Garten hinter Büschen
die Männer die Schwänze hochmassierten.

Gottfried

Bajuvarischer Orpheus,
Schwermütiger Blödler
in den Fußstapfen Karl Valentins.

So viele Namen
So viele Geschichten
So viele Töne
So viele Tote

Patrick, Ikarus-Desaster und Ferdinand habe ich im cafe Posithiv in der Großgörschenstraße kennengelernt. Andreas wurde auf dem Rückweg vom waldschlösschen bei einem Autounfall auf der Transitstrecke schwer verletzt. Auch mein Freund Johannes war betroffen. Aber im Gegensatz zu Andreas hat er überlebt. Auf den Vorfall gehe ich in seiner Biographie ein ( siehe: Mein großer Bruder).

Als AIDS für Schlagzeilen sorgte, gehörte Johannes zu den ersten, die sich am westberliner Tropeninstitut anonym testen ließen. Als ihm die Infektion bescheinigt wurde, bestand er nach wenigen Wochen nur noch aus Haut und Knochen. Um ihm das Schlimmste zu ersparen, bemühten wir uns um Tabletten für einen möglichen Freitot. Jahre später stellte sich heraus, dass damals offenbar Blutproben verwechselt worden waren. Johannes war gar nicht infiziert. Für mich war es die erste persönliche Konfrontation mit der Krankheit.

Gottfried hatte ich in einer Münchner WG kennengelernt. Es war Sommer und ich mit dem Fahrrad an der Isar unterwegs, als er in einem Krankenhaus starb.

Heute bin ich mir sicher, dass es auch an den damaligen Medikamenten lag, dass so viele dieser ersten Generation so schnell wegstarben. 

"Alt wie ein Baum bist Du nicht geworden", Gerhard

 Nachruf Gerhard

Irritierender Puddy-Song,
der durch den Raum huschte,
als Deine Seele
endlich erlöst
auf den Wellen Deiner letzten Atemzüge
davonschwamm.

Geboren auf den kargen Höhen der Alb,
wo in den Höhlen noch Kobolde hausen
und unten im Tal die schöne Lau
jeden,der über den Brunnenrand äugt,
mitreißt in den Abgrund der Leidenschaften.
trieb es Dich,
vom Bauernjungen zum Manne gereift,
in das Zwielicht der Städte,

Wo Rausch und Einsamkeit
innig sich paaren
und dem Vergessen der Nacht
so oft der ernüchternde Morgen folgt.

karg und unsicher geworden
hofftest Du weiter auf den Prinzen,
der die Dornenhecke missachtend,
sich durchkämpft
zu Deinem ängstlichen Herzen.

Eingefangen hast Du uns alle
mit dem Dir eigenen Liebreiz.
Als Dich die Krankheit
stumm und hilflos machte,
saßen wir scheu und verlegen
an Deinem Bett.

Draußen auf dem Balkon
verdorrten die Dahlien und Astern,
die von den Bauerngärten
Deiner Kindheit erzählten.

Alt wie ein Baum bist Du nicht geworden, Gerhard.

Auch Gerhard habe ich im Cafe Posithiv kennengelernt. Er kam von der Schwäbischen Alp, die mir aus meiner Pfadfinderzeit vertraut war. Ihn habe ich noch sehend in Erinnerung. Dann kehrte ich als blinder Mann nach Berlin zurück. 

Es war Sommer, als Gerhard durch den Herpes erblindete. Er ließ mich aus meiner fränkischen Heimat zurück nach Berlin rufen. Es gelang mir, ihm Mut zu machen. Schließlich fand er den Gedanken an einen Blindenhund sogar sympathisch. Aus dem Krankenhaus entlassen und wieder in den eigenen vier Wänden sah er nur noch schwarz. Er war der erste Kranke, dessen letzte Wochen und Stunden ich miterlebte.

Da ist die Bank

 Die Bank

Da ist die Bank,
auf der wir damals saßen.
Dein Leib vom Leiden
ausgezehrt, erschöpft.
Hier hast Du kniend
Männern Lust bereitet.
Jetzt ist’s der Tod,
er zwingt Dich in die Knie.

Hier im Café sind viele neue Leute.
Sie lachen, streiten, kiffen ganz wie wir.
Das Leben lässt sich leider nicht beirren.
Doch Du mein Schatz,
Du bist jetzt nicht mehr hier.

Warum die Angst
vor jenem letzten Abgrund?
Warum nicht einfach
Augen zu und durch?
Warum, o Leben,
plötzlich diese Farben,
Jetzt, wo es heißt
Adieu, vorbei, ich geh?

Aber schön war es doch.
Aber schön war es doch
und ich möcht es
noch einmal erleben.
Dabei weiß ich genau,
Dabei weiß ich genau:
Ja das kann es nur einmal geben.

(Unter Verwendung eines Hildegard-Knef-Songs)

Wenn ich einmal sterbe! 

 Wenn ich einmal sterbe

(Melodie: Puff the magic dragon)
Wenn ich einmal sterbe,
halte meine Hand.
Sei mir nah auf jenem Weg
in ein fernes Land.

wenn ich einmal sterbe,
halte meine Hand.
Sei mir nah auf jenem Weg
in ein fernes Land.

Lachen, Lieben, Träumen
hatten ihre Zeit.
Ängste, Zweifel und der Schmerz
sind Vergangenheit.

Schenk mir Deine Wärme,
wenn mein Herz verstummt
Und der letzte Atemhauch
strömt aus meiner Brust.

Schenk mir Deine Wärme,
wenn mein Herz verstummt
und der letzte Atemhauch
strömt aus meiner Brust.

Lass mir meine Tränen!
Tröst mich nicht zu früh!
Wenn mein Körper lebensmüd
sehnt sich nach dem Tod.

Lass Dir Zeit zu trauern.
Hol Dir Trost und Schutz
und behalt mich weiter lieb
in Erinnerung.

Gib Dir Zeit zu trauern.
Hol Dir Trost und Schutz
und behalt mich weiter lieb
in Erinnerung.

Peter war eine Seele von Mensch und immer im Einsatz für andere Aidskranke unterwegs. So nahm ich ihn wahr. Deshalb hat mich die Nachricht von seinem Tod völlig überrascht.

es war sein Wunsch, dass auf der Trauerfeier im Krematorium Ruhleben das Kinderlied "Paff, der Zauberdrachen" gespielt wurde. Wir ahnten etwas vom Glanz einer verträumten, schönen Kindheit. Seltsam Berührt nahm ich mir damals vor, zu dieser Melodie einmal einen eigenen Text zu verfassen.

An die Toten jener Jahre erinnere ich ausführlich in meinem Heft "Vom Aufstieg und vom Scheitern, vom Abschied und vom Sterben":

  Aufstieg & Scheitern 1-14

  Aufstieg & Scheitern 15-30

  Aufstieg & Scheitern 31-47