Verstand und Vernunft

Gibt es zwischen beiden einen Unterschied?

Der Verstand bezieht einen Standpunkt gegenüber der Wirklichkeit, den er zu begründen versteht. Die Wirklichkeit ist vielfältig und sie lässt sich unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten wahrnehmen.

Im Wort "Vernunft" verbirgt sich das Wort "vernehmen". Was ich in der Wirklichkeit zu vernehmen in der Lage bin, hängt ab von meiner bisherigen Lebenserfahrung. Oft sagt mir meine Vernunft, dass es im Augenblick keinen Sinn hat, (m)einen Standpunkt zu vertreten. Der Blick der Vernunft ist meist komplexer als der des Verstandes, der zu Einseitigkeiten neigt und schnell auf sein Recht behaart.

Vernunft und Verstand spiegeln unterschiedliche Haltungen dem Leben gegenüber. Beide Haltungen sind notwendig. Aber jedem von uns liegt die eine oder die andere Haltung näher.

Frauen wissen aus ihrem Umgang mit Kindern, dass er sich nur mit Vernunft meistern läst. Kinder beharren noch auf ihren Eigensinn und ich kann ihnen meinen Standpunkt nicht einfach aufzwingen. Vielmehr muss ich ein Gespür dafür entwickeln, welche Einsichten sie im Augenblick aufzunehmen in der Lage sind.

Wie das "vernehmen" ist auch das "aufnehmen" auf den ersten Blick eine eher passive Haltung. Ich begnüge mich damit, die Situation "nur" zu betrachten. Als Lohn für den Verzicht, sie sofort zu beeinflussen, kann ich "trächtig" werden. Diese Erfahrung "seelisch-geistiger Schwangerschaften" ist vielen Männern wenig vertraut und muss erst eingeübt werden. Männer neigen eher dazu, die (Um)Welt ihren Standpunkten zu unterwerfen.

Aber nur wenn wir immer wieder in der Lage sind, uns "zurückzunehmen", kann Friede einkehren und die Welt sich in all ihren Facetten mitteilen.