Wie der Teufel das Weihwasser fürchteten einst die Grünen den "Berufspolitiker". Kein Ehrgeizling sollte in der Partei eine Chance haben. Deshalb mussten anfangs die gewählten ihr Amt bereits mitten in der Legislaturperiode an die Nachrückenden weitergeben. Dann wurde zähneknirschend eine Legislaturperiode, dann eine zweite geduldet und inzwischen sitzen die Alt-Vorderen bei den Grünen genauso fest im Sattel wie bei den anderen Parteien.
Politik ist ein Beruf, der gelernt werden muss und viel Übung erfordert. Deshalb ist es zu einfach, hier nur ehrsüchtige Karrieristinnen am Werk zu sehen. Aber zumindest ab und zu wären ein paar Zweifel angebracht. Tut es unserem Lande wirklich gut, wenn ein gesundheitlich schwer angeschlagener Mann das wichtige Finanzministerium führt? Und was ist von Hans-Christian Ströbele zu halten, den wahrscheinlich erst ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt zum Rückzug aus der Politik bewegen kann? Je nach Sympathie werden die einen auf die Verdienste verweisen und andere eine Politik-Sucht vermuten.
Auch ein anderer grüner Traum ist inzwischen grauer Alltag.
Seit der Frühzeit der Bewegung sollen Frauen wie Männer in der Partei die gleichen Chancen haben. Da mehr Männer sich engagierten, profitierten vor allem die Frauen von den paritätisch besetzten Listen. Diese Gleichberechtigung wird von den Nachwachsenden kaum noch als eine Errungenschaft wahrgenommen. Der von Männern dominierten Piratenpartei scheint die von Frauen geäußerte Kritik nicht zu schaden.
Doch offensichtlich können die Heroinnen von gestern für die Partei auch zu einer Belastung werden. Das lässt jedenfalls die Diskussion vermuten, mit wem an der Spitze die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl antreten sollen.
Unbestritten an Profil gewonnen: Jürgen Trittin
Seine Mitgliedschaft beim Kommunistischen Bund (KB) wird ihm als Jugendsünde verziehen. Der "Öko-Stalinist" und "Salon-Bolschewist" ist selbst für die konservative Wählerschaft kein Schreckgespenst mehr. Jürgen Trittin hat sich in erstaunlich vielen Bereichen eingearbeitet und bewährt. Er ist an seinen Ämtern gewachsen und überzeugt durch eine sympathische Gelassenheit. Früher hat er sich öfters im Ton vergriffen, sich aber anschließend auch dafür entschuldigt.
Im Februar 2012 schrieb er: "Das Nicht-Retten [Griechenlands vor der Staatspleite] ist... teurer als weitere Kredite. Die Rettung Griechenlands ist in unserem Interesse. Doch dies ist ein solidarisches Kalkül: Die Menschen in Griechenland, in Spanien und Portugal leiden unter Massenarbeitslosigkeit, Kreditklemme bei den Unternehmen und zusammengestrichenen öffentlichen Leistungen. Solidarität ist einer der europäischen Grundwerte. Wir Deutschen hatten das Glück, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die USA mit dem Marshallplan die rettende Hand ausstreckten. Es ist an der Zeit, dass wir Deutschen für die Menschen in Europas Süden dasselbe tun. Ein europäisches Investitionsprogramm für nachhaltiges Wachstum und mehr Beschäftigung wäre zu unserem gemeinsamen europäischen Nutzen." (Zitiert nach: Jürgen Trittin Wikipedia)
Wer aber könnte die Frau an seiner Seite werden?
Seine alte Kampfgefährtin Renate Künast hat im Berliner Wahlkampf so manche Schramme abbekommen. Natürlich hat sich Claudia Roth mit dem ihr eigenen Überschwang bereit erklärt, die Lücke zu füllen. Sicher verkörpert sie mit ihrer Inbrunst die Sehnsucht vieler grünen nach einer menschlicheren Welt. Aber als Spitzenkandidatin an Trittins Seite könnte sie sich für die Partei als ein Mühlstein erweisen.
Kein grüner Mann wird es wagen, zum Aufstand gegen die grünen Walküren aufzurufen. Nur eine noch unbekannte Jung(e)Frau (von ???) könnte die Bühne betreten, ohne sofort des Muttermords verdächtigt zu werden.
Es wird noch spannend bei den Grünen!