Disziplinarverfahren gegen den Kollegen Frank Schüler

29. 6. 1983

"Der Kollege Schüler hat seine Arbeitspflichten in grober Weise verletzt. Er verließ wiederholt unerlaubt seinen Arbeitsplatz. Heute erschien er gegen 13.30 zur Spätschicht, nahm jedoch seine Arbeit vorerst nicht auf. Seine Betriebsleiterin forderte ihn mehrmals auf, seinen Arbeitspflichten endlich nachzukommen. Dem herbeigerufenen Produktionsleiter gegenüber erklärte Kollege Schüler, dass er im Moment nicht ansprechbar sei. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt.

Am 30. 6. kam der Kollege Schüler seinen Arbeitspflichten wiederum nicht nach. Er lehnte es ab, den von der Meisterin gegebenen und von der Betriebsleiterin präzisierten Arbeitsauftrag für die Brückenstanze auszuführen. Stattdessen wollte er lieber irgendwelche Teile nach seinem Ermessen an der Schwenkarmstanze stanzen. Als er der Aufforderung des Produktionsleiters, den angewiesenen Auftrag exakt zu erfüllen, nicht nachkam, wurde er vom Betriebsgelände verwiesen. Auf die Androhung eines neuen Disziplinarverfahrens reagierte er völlig gleichgültig. Von allen Kollegen wird sein Verhalten eindeutig verurteilt. Sie sprachen sich einstimmig für ein Disziplinarverfahren aus."

Einschätzung des Strafgefangenen durch das Jugendhaus Halle:

(Februar 1983)

"Frank Schüler hat eine achtmonatige Freiheitsstrafe abgesessen. Er wurde in einem Kommando zur gesellschaftlich nützlichen Arbeit eingesetzt, wo er einfache Elektromontagearbeiten ausführte. Er erreichte befriedigende Ergebnisse, wobei er sein Leistungsvermögen nicht ausschöpfte. Im Gruppengefüge verhielt er sich verträglich, wobei nicht zu verkennen war, dass er teilweise rechthaberisch und besserwissend auftrat. Zur Politik unseres Staates nahm er eine abwertende und ablehnende Haltung ein. Sein Wissensstand ist gering. Strafeinsicht und Besserungswillen werden vom Strafgefangenen verbal geäußert bzw. zugesichert. Anstrengungen zur Realisierung wurden jedoch kaum spürbar."

Grunddaten

Geburtsland: DDR

Geburtsort: Calwe/ Bezirk Magdeburg

Geburtsdatum: 30. 05. 1964

Nach der Schulentlassung 1987 (8. Klasse) begann er eine  Maurerlehre, die er nicht beendete. Danach arbeitete er  kurzzeitig als Zusteller bei der Post. Dabei kam es häufig zu Verstößen gegen die Arbeitsdisziplin und der Moral. Wegen  Asozialität verbüßte er eine achtmonatige Freiheitsstrafe im Jugendhaus Halle. Auch anschließend kam er Arbeitsanweisungen im wesentlichen nicht nach. Er gab prinzipiell keine Auskünfte. Er Trat undiszipliniert und frech auf. Verweigerte jede Unterschrift unter Dokumenten.

Nach seiner Übersiedlung (nach Ostberlin) ging er in Berlin keiner geregelten Arbeit nach. Es wurde ihm schließlich eine Arbeit in der  Gastronomie zugewiesen. Auch hier wurde er als renitent und aufsässig eingeschätzt. Er ist nicht gewillt, sich entsprechend den sozialistischen Normen zu verhalten und seinen Pflichten nachzukommen. Er gilt als unhöflich, undiszipliniert und faul.

 Seit seiner Rückkehr aus Prag geht Schüler keiner geregelten  Arbeit mehr nach. Er hält sich kaum in seiner Wohnung auf. Es kann davon ausgegangen werden, dass er sich von homosexuellen Partnern und anderen Bekannten aushalten lässt. Ein IM(informeller Mitarbeiter der Stasi) bestätigte, dass er ständig in den von Homosexuellen bevorzugten Lokalen verkehrt. Von den Besuchern lässt er sich aushalten bzw. führt  mit ihnen gegen entsprechende Bezahlung sexuelle Handlungen durch. In Westberlin könne er als Schwuler endlich frei leben. Er werde zuerst auf den Strich gehen und später nach Amerika oder Indien auswandern. Er betont immer wieder, daß er Deutscher und kein DDR-Bürger sei und hier raus will. Schüler gehörte einer feindlich-negativen Gruppierung an, die ihre Übersiedlung anstrebte. Zu ihrer Erzwingung drang Schüler im Oktober 1984 in die Botschaft der BRD in der CSSR ein und besetzte diese bis zum 1. November.

1985 erfolgte die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR.

Berlin (16.10.1984)

Ministerium für Staatssicherheit

(Berlin, Diensteinheit Kreisdienststelle Mitte)

 Beschluss über das Anlegen eines operativen Vorgangs bzw. zentralen operativen Vorgangs:

  Deckname: "Erpressung"

  Oberaufsicht: Generalleutnant Schwanitz

 Die angelegte Akte beträgt 680 Seiten.

 Frank Schüler wohnt Flugstraße 11. Tätig als Abwäscher beim VEB-Gaststätten HO-Berlin. Gaststätte "Arkade" in berlin-Mitte. Er neigt sehr zu Arbeitsbummelei, die bis zur Asozialität reicht. Im Wohngebiet ist bekannt, dass er eine pazifistische Einstellung hat, was er in Diskussionen, Fotos und Plakaten zum Ausdruck bringt. In Gesprächen tritt er provokatorisch und zynisch auf. Die Ablehnung seines Ausreiseantrags beim Rat für Inneres im Rathaus Mitte nahm er mit den Worten "Das werden wir sehen!" zur Kenntnis. Als man ihn warnte, ausländische Botschaften aufzusuchen, entgegnete er: "Sie müssen aber Angst haben!" 

Gegenüber seinem Küchenleiter äußerte sich Schüler, dass er von der DDR die Schnauze voll habe und er jetzt in die Botschaft der BRD in Prag gehe. Falls diese bereits vollbesetzt sei, werde er die Botschaft in Budapest aufsuchen.

Information des IM über geplante demonstrative Handlungen zur Erzwingung der Ausreise: Wird dem Ausreiseersuchen der Gruppe bis Ende Oktober nicht nachgegeben, ist geplant:

Einer der Gruppe verbrennt sich auf dem Alex

oder einer stürzt sich aus einem Hochhaus

oder sie zünden einen Sprengsatz

oder lassen einen Zug entgleisen.

Sie sind inzwischen entschlossen: Märtyrertum oder Terror!

 Infolge eines Schornsteinschadens wurde der Seitenflügel links von Flugstrasse 11 saniert und u.a. mit Gasheizung versehen. Im Frühjahr 1984 zogen im Wesentlichen neue Miter ein. Sie machen durch lautstarke Musik auch zur Nachtzeit bzw. zum frühen Morgen, durch häufiges Feiern von sich reden. Im April 1984 hat sich in das Hausbuch ein Küchenarbeiter Frank Schüler eingetragen. Er besitzt einen Briefkasten mit dem Zusatz: Berlin-New York-Honkong. Wahrscheinlich sind einzelne Mitglieder dieser Gruppe kirchlich gebunden. Neben der Wohnungstür hängt ein selbstgemaltes Plakat. Es zeigt Gewehre, die immer mehr zu einem Baum zusammenwachsen. Darunter steht: "träume und Frieden pflanzen!"

Ein Plakat in einem Fenster zeigt den Erdball und zwei Hände, die ein Gewehr zerbrechen. An der Tür klebt "atomwaffenfreie Zone" und "Schwerter zu Pflugscharen". "Anstatt die Jungen Soldat spielen zu lassen, sollte man die jungen Soldaten spielen lassen."

Die Gruppe beschäftigt sich mit der Planung und Durchführung von Theaterstücken zu den Themen "Pazifismus" und "Homosexualität". Sie besitzt zahlreiche Briefkontakte zu ehemaligen DDR-Bürgern oder Jugendlichen in der BRD. Um ihre Ansichten zu verbreiten, verfassen sie Flugblätter.  Im Allgemeinen verhalten sich diese Mieter höflich und machen einen freundlichen Eindruck. Sie machen einen ordentlichen Eindruck. Zu Auseinandersetzungen kamen es nur, wenn gefeiert wurde. Bei einer Geburtstagfeier im Juni wurden u.a. Flaschen aus dem Fenster geworfen. Die anderen Mieter alarmierten einen Streifenwagen.