Alter Wein in neuen Schläuchen - Wie viel verstehen Linke von Ökonomie?


la_grande_vague_au_large_de_kanawagaAm 20. Oktober 1891 verabschiedete die Sozialdemokratische Partei in Erfurt ihr erstes Grundsatzprogramm. Es war vier Seiten lang. Am selben Wochenende, 120 Jahre später, trafen sich am selben Ort die Delegierten der Linkspartei. Sie verstehen sich als Nachfolger der damaligen Sozialdemokraten, die noch revolutionäre Töne wagten und die Gesellschaft grundlegend verändern wollten. Immer wieder haben sich in der Arbeiterbewegung Ökonomen mit den "Krisenzyklen" des Kapitalismus beschäftigt. Jetzt sprechen selbst ihre konservativen Kollegen von einer Systemkrise. Doch von der Diskussion, wie die Krise entstanden ist und wie sie gelöst werden kann, scheinen linke Parteien kaum zu profitieren.

Zwei Seiten eines Problems

Sarah Wagenknecht, auch auf diesem Parteitag die heimliche Hoffnungsträgerin in Rot, verweist in ihrem neuen Buch auf den Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und dem Vermögenszuwächsen bei einer Minderheit. Die kontinuierliche Umverteilung der Einkommen von unten nach oben und der Rückgang der Staatseinnahmen haben dieselbe Ursache. Der Staat hat sich in den letzten dreißig Jahren durch die Liberalisierung der Finanzmärkte und durch immer neue Freiräume für Reiche selbst in diese missliche Lage gebracht.

Diese Reichen und nicht nur sie haben ihr gutes Geld in fragwürdigen Finanzprodukten angelegt. Diese täuschten eine Wertschöpfung vor und waren oft ihr Papier nicht wert. Doch anfangs sorgten die eskalierenden Geldumsätze für einen Höhenrausch. Die Liberalen schienen mit ihrem Slogan "Mehr Geld in privater Hand und die Weltwirtschaft boomt!" Recht zu bekommen. Erst als die ersten Blasen platzten, stellte sich Ernüchterung ein. Da der allgemeine Geldverkehr zusammenzubrechen drohte, riefen die Verursacher der Krise nach dem Staat. Dabei hatten sie all die Jahre einen schlanken Staat und eine Deregulierung der Wirtschaftskreisläufe gefordert und durchgesetzt.

 

Nicht der Euro soll gerettet, sondern das deregulierte Finanzsystem aufrecht erhalten werden.

Jetzt soll der Staat, den man in die Verschuldung getrieben hat, den Kapitalverkehr wieder in Gang bringen. Denn keine Bank leiht einer anderen mehr Geld. Jede vermutet mit Recht im Depot der anderen Bank giftige Papiere. Die Politik hat diesen unseriösen Umgang mit Geld durch den ständigen Abbau von Regeln, die bisher im Finanzsystem für Stabilität sorgten, erst möglich gemacht. Sie hat den Banken und anderen Finanzdienstleistern auch noch erlaubt, durch frisierte Bilanzen über den Mangel an Eigenkapital hinwegzutäuschen. Jetzt sollen die Politiker, die so bereitwillig dem Druck der Finanzlobby nachgegeben haben, die ruinösen Banken mit Steuermitteln retten.

Angeblich geht es um die Rettung des Euros. Der ist und bleibt allen Unkenrufen zum Trotz eine stabile Währung. Die Amerikaner und ihr Staat leben seit Jahrzehnten auf Pump. Aber die dortigen Rating-Agenturen, die unsere Staaten so leichtfertig abwerten, schrecken im Heimatland der Wallstreet vor einem solchen Schritt zurück. In den USA und in Großbritannien werden die Banken weiter mit billigem Geld versorgt. Die Staaten in der Euro-Zone versuchen - freilich mit unterschiedlichem Ernst -, sich auf Teufel komm raus gesund zu sparen. Weder durch immer neue Rettungsschirme (sprich: billiges Geld) noch durch einen rigiden Sparkurs wird sich das Vertrauen in den Geldverkehr wieder herstellen lassen. Zuerst muss man den Brandstiftern das Handwerk legen!

 

Der Lösungsvorschlag der Linkspartei: Verstaatlichung der Banken

Das hört sich gut an und befriedigt unser Rachebedürfnis gegenüber den "Finanzterroristen". Wenn der Steuerzahler mit seinem Geld eine Bank rettet, dann sollte sie ihm gefälligst auch gehören. Für diese Lösung entschieden sich die Schweden, als ihr Land Anfang der neunziger Jahre von einer Finanzkrise heimgesucht wurde. Als die Banken saniert waren, wurden sie wieder verkauft.

Aber man kann mit Recht bezweifeln, dass der Staat mit Eigentum verantwortungsvoll umzugehen versteht. Unsere Landesbanken und andere Banken, in deren Aufsichtsräten Politiker die Mehrheit hatten, haben kräftig mit spekuliert. Auch für ihre Milliardendefizite muss der Steuerzahler aufkommen.

Eine staatliche Aufsicht verhindert nicht unbedingt Misswirtschaft. Macht man Linke darauf aufmerksam, fordern sie eine Vergesellschaftung. Auch dieses Experiment wurde bereits gewagt und ist gründlich gescheitert.

Zum Mythos der Vergesellschaftung

In der ehemaligen DDR waren nicht nur die Banken, sondern auch alle Produktionsbereiche vergesellschaftet. Obwohl das Privateigentum an Produktionsmitteln und die Profitinteressen einzelner keine Rolle mehr spielten, konnte die DDR die kapitalistische BRD, was die Produktivitätssteigerungen betrifft, nie einholen. Auch der Wechselkurs spiegelte die Unterlegenheit der Planwirtschaft. In der kurzen Zeit nach der Wende und vor der Währungsunion bekam ich auf dem freien Markt für meine Westmark drei bis vier Ostmark. Für ein paar Wochen konnte ich mir im Ostteil der Stadt für wenig Geld sagenhafte Rauschzustände leisten.

Es ist nicht ausschlaggebend, wer den Geldverkehr verwaltet. Geld ist (nur) ein Mittel, allerdings ein sehr effizientes, welches die Organisation von Wirtschaftskreisläufen erleichtert. Sein Wert hängt davon ab, wie produktiv gewirtschaftet wird. Es sorgt für Klarheit, wenn der Wert einer Währung auf dem freien Markt ausgehandelt wird. Die Chinesen müssten dann entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stärke mit einer Aufwertung rechnen. Das lehnen sie ab, weil dann ihre Produkte teurer und dadurch ihre Exporte zurückgehen würden. Ein freier Wechselkurs schützt die Politiker und die Menschen in einem Land vor Selbstbetrug.

Was hat die DDR-Wirtschaft in den Konkurs getrieben?

Dass das Geld der DDR so wenig wert war, hat verschiedene Ursachen. Ich will einen Bereich herausgreifen, an den sich nicht wenige DDR-ler wehmütig erinnern. Erich Honecker hatte angeordnet, dass keine Brötchen mehr als zwanzig Pfennig kosten darf. Auch für die Wohnungen wurden Mietgrenzen festgelegt. Keine Monatsmiete sollte mehr als hundert Mark betragen. Auf Anweisung von oben wurden die Löhne auch in Bereichen, die nicht wirtschaftlich arbeiteten, regelmäßig erhöht. Diese Symbol-Politik sollte beweisen, dass es keine Ausbeuter mehr gibt und dass es im Land der Arbeiter- und Bauernmacht kontinuierlich aufwärts geht. Wie in Griechenland wurden auch in der DDR die Wirtschaftsbilanzen regelmäßig geschönt.

Natürlich kann man sich für diese Art der Sozialpolitik entscheiden. Wenn die Preise von Produkten, deren Herstellung sich verteuert hat, nicht erhöht werden dürfen, muss der Staat das Defizit durch Subventionen ausgleichen. Die dafür notwendigen Millionen müssen an anderer Stelle erst einmal erwirtschaftet werden.

Der allmähliche Verfall der DDR hat gezeigt, wohin eine solche Verwaltungswirtschaft führt. Dem Staat fehlte das Geld, die verfallenden Altbauten zu sanieren. Ohne die Wiedervereinigung wären viele Orte in der DDR in sich zusammengefallen.

 

In jeder Gesellschaft muss ein Mehrwert geschaffen werden.

Hätten die Pioniere der DDR Karl Marx' Kritik am Erfurter Programm gewissenhaft gelesen, wären sie die Organisation ihrer Wirtschaft intelligenter angegangen. Marx macht sich über die Vorstellung der Sozialdemokraten, nach einem Sieg der Arbeiterklasse könnte der in der Produktion erzeugte Mehrwert an die Menschen verteilt werden, lustig. Für ihn ist das pure Sozialromantik. Mit Recht argumentiert er, dass in jeder Gesellschaft ein Mehrwert erzeugt und in innovative und längerfristige Projekte investiert werden muss. Ohne eine solche Dynamik, die im Kapitalismus von erfolgreichen Unternehmern ausgeht, verarmt eine Gesellschaft.

Walter Ulbricht erkannte in den sechziger Jahren die Schwachstellen der Planwirtschaft. Zusammen mit begeisterten jungen Ingenieuren und Ökonomen entwarfen sie die DDR als ein Hightech-Land zwischen Ost und West. Die Sowjetunion sollte die Rohstoffe liefern. Wissenschaft und Technik sollten, auch dank der guten Kontakte zur erfolgreichen Bundesrepublik, zu den vorantreibenden Produktivkräften werden.

Aber die Sowjetunion war nicht bereit, die DDR wirtschaftlich eigene Wege gehen zu lassen. Auch die politischen Funktionäre im eigenen Land boykottierten Ulbricht's Modernisierungsversuch. Sie weigerten sich, ihre Macht mit den nachdrängenden "Technokraten" (für sie ein Schimpfwort) zu teilen. Deshalb war die DDR wirtschaftlich zum Niedergang verurteilt.

 

Offenbar unausrottbar: die Beschwörungsformeln "Antikapitalismus" und "Sozialismus"

Wo etwas beschworen wird, ist meist ein tiefer, "heiliger" Ernst zu hören. Es geht nicht um Argumente, sondern um Weltdeutung. Jahrtausendelang haben Religionen diesen Wunsch erfüllt und ihren Anhängern ein Gefühl innerer Gewissheit vermittelt. Das unterscheidet den Gläubigen von Ungläubigen.

Schon früh beschworen jüdische Propheten den Traum von einer Welt, in der alles Kämpfen und Mühen ein Ende hat und alle im Einklang miteinander ihr Leben genießen. Vielleicht hat sich Karl Marx an diese religiöse Verheißung erinnert, als er seinen Traum vom Sozialismus formulierte. Sein Vater kam aus einer Rabinerfamilie.

Wo bisher dieser Traum realisiert wurde, hat er die Welt nicht unbedingt zum Guten verändert. Aus Kuba, einer ehemals blühenden Insel, wurde ein Armenhaus. Auch die Menschen im kommunistischen China haben nicht das Gefühl, in der besten aller Welten angekommen zu sein.

Aber Gläubige lassen sich durch Hinweise auf die Realität selten beirren. "In diesen Ländern herrscht immer noch der Staatskapitalismus", belehren uns unsere kommunistischen Schwärmer. Wo sich der ersehnte Traum nicht einstellen will, muss eben das Kapital (als Sündenbock) weiter seine Hand im Spiel haben.

Ähnlich unbelehrbar verhalten sich unsere Neoliberalen. Das Geld und zwar in privater Hand soll alle Probleme lösen. Deshalb wird es demnächst zu den Kassen der Pflegeversicherung auch noch einen privaten Kapitalstock geben. Es ist auch höchste Zeit, unsere Spekulanten wieder mit frischem Geld zu versorgen.